bello ade

in Park und See

Hundesteuer tatsächlich erheben! Schreiben an den Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses

PDF-Version

Sehr geehrter Herr Verrycken, sehr geehrter Herr Statzkowski,
sehr geehrte Abgeordnete,

mit diesem Schreiben möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass die Regelungen des Berliner Hundesteuergesetzes eklatant gegen den Grundsatz der Steuergerechtigkeit verstoßen. Die Erhebungsregel ist nicht auf Durchsetzung angelegt, sie basiert allein auf den Angaben der Steuerpflichtigen (Vertrauensvorschussprinzip) und Kontrollen finden so gut wie nicht statt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont, dass steuerrechtliche Vorgaben einer Überprüfbarkeit bedürfen (Verifikationsprinzip, BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 09. März 2004 – 2 BvL 17/02).1 Wir bitten Sie, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu beachten und diesen Missstand unverzüglich abzustellen.

Die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts:
1. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen (Anschluss an BVerfGE 84, 239).
2. Verfassungsrechtlich verboten ist der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung angelegten   hebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts.

Stichprobenartige Erhebungen zeigen seit Jahren, dass in Berlin jeder zweite Hund steuerlich nicht erfasst ist.2 Damit entgehen dem Land nicht nur alljährlich rd. 11 Mio. Euro an   Einnahmen, sondern wenn Steuervermeidung keinerlei Konsequenzen hat, geht die  Lenkungsfunktion des Gesetzes – die Begrenzung der Zahl der Hundehaltungen – verloren.

Folgende Zahlenverhältnisse verdeutlichen, wie gering die Kontrolldichte ist:
104.757    gemeldete Hunde 2016. (Die tatsächliche Zahl der Hunde dürfte doppelt so hoch sein.)
7.500 (bzw. 15.000)    Hunde müssten jährlich kontrolliert werden, wenn – rein statistisch – jeder Hund während seiner Lebensdauer einmal kontrolliert werden soll.
ca. 890    bei den Finanzämtern eingegangene Kontrollmitteilungen
ca. 1.000    Hundebisse (einschließlich gefährlichen Anspringens), die angezeigt und wo die Amtstierärzte zwecks Wesensprüfung des Hundes eingeschaltet wurden.3 (In ca. 600 Fällen waren Menschen betroffen, in ca. 400 Fällen andere Hunde).

Die Differenz zwischen einer effektiven Kontrolldichte (mindestens 7.500/15.000 jährlich) und der Zahl der Kontrollmitteilungen (ca. 890) ist so erheblich, dass davon ausgegangen werden muss, dass eine Kontrolle der Steuerpflicht praktisch nicht stattfindet. Auffällig ist zudem die geringe Differenz zwischen der Anzahl der angezeigten Hundebisse und der  Kontrollmitteilungen: Außerhalb von Bissvorfällen haben Polizei und Ordnungsämter höchst selten Kontrollmitteilungen erstellt. Gesonderte, alljährliche Kontrollaktionen von Polizei und Ordnungsämtern, von denen die Senatsverwaltung für Finanzen wiederholt u.a. in Antworten auf Anfragen von Abgeordneten schreibt, scheinen gar nicht stattzufinden.4 (Eigenen Angaben zu Folge verfügt sie dazu über keinerlei Zahlen, da die Kontrollaktionen „originär“ von Polizei und Ordnungsämtern durchgeführt würden.5)

Die Erhebungsregeln des Berliner Hundesteuergesetzes sind nicht nur ineffizient, sondern das Recht ist verfassungswidrig normativ widersprüchlich auf Ineffektivität angelegt. Folgende Widersprüche sind hervorzuheben:

  • Zuständig für die Steuerkontrollen sind Polizei und Ordnungsämter. Sofern es sich nicht um Straftaten (z.B. Körperverletzungen) handelt, liegt die Zuständigkeit in der Zeit von 6  Uhr bis 22 Uhr – wo Hunde für gewöhnlich ausgeführt werden – allein bei den chronisch unterbesetzten Ordnungsämtern. In der Folge finden Steuerkontrollen zumeist nur dann statt, wenn anderweitige Delikte vorliegen.
  • Die Effizienzvorgaben, denen die Ordnungsämter unterliegen, konterkarieren die  Durchsetzung des Hundesteuergesetzes. Die Ordnungsämter sind gehalten, jährlich eine vorab bestimmte Summe an Ordnungsgeldern einzunehmen. Dies führt zu einer Hierarchisierung  der zu verfolgenden Ordnungswidrigkeiten nach Einnahmechancen: Einen Hundehalter zu kontrollieren und zu belangen, ist – gemessen am Zeitaufwand – ineffizient.
  • Die Erträge der Hundesteuerkontrollen von Polizei und Ordnungsamt gehen ausschließlich an das Finanzamt; Hundehalter auf die Einhaltung der Steuerpflicht zu kontrollieren, bringt für den „Betrieb“ Ordnungsamt keinen „Gewinn“.
  • Seit 2002 stellt die Nicht-Anbringung der Steuermarke am Halsband keine  Ordnungswidrigkeit mehr dar.6 Dies erschwert es Polizei und Ordnungsamt ungemein, Verstöße gegen die Hundesteuerpflicht im Rahmen des allgemeinen Streifendienstes beiläufig zu entdecken.
  •  Die Pflicht zur Verifikation des Hundesteuergesetzes durch den Gesetzgeber wird missachtet, wenn Polizei und Ordnungsämter „originär“ für die Kontrollen verantwortlich sind und die Senatsverwaltung für Finanzen deshalb(!) keine Informationen über die Anzahl der durchgeführten Kontrollen und deren Ergebnisse hat.

Die noch ausstehende Umsetzung des Hundegesetzes von 2016 wird an diesen verfassungswidrigen Gegebenheiten nichts ändern. Warum schließlich sollten Hundebesitzer ihren Hund im Register anmelden, würden sie dann doch auch Hundesteuer zahlen müssen? Wir fordern Sie hiermit auf, das normative Umfeld (u.a. die Regeln für Polizei und Ordnungsämter) so auszugestalten, dass die verfassungsrechtlich gebotene Gleichheit im Belastungserfolg hergestellt wird und das Hundesteuergesetz seine Funktionen der Erzielung von Einnahmen und der Regulierung einer übermäßigen Ausdehnung der Hundehaltungen in Berlin wieder erfüllen kann. Hilfsweise kämen u.E. einstweilen auch gesonderte Kontrollaktionen (z.B. unter Zuhilfenahme privater Dienstleister, wie anderswo praktiziert) in Betracht.

Wir bitten um Antwort binnen vier Wochen.

Mit freundlichen Grüßen
BI „bello ade in park und see“
i.A. PD Dr. Helga Ostendorf

Fußnoten:
1) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2004/03/ls20040309_2 bvl001702.html
2)  2010 59% von 911 kontrollierten Hunden (Schreiben des Finanzsenats III C-G 1600 – 17/2017 v. 11.3.2011).  In den Jahren 2013 bis 2015 zwischen 819 und 956 kontrollierte Hunde; 48% bis 51% waren nicht angemeldet (Mail des Finanzsenats III C 24 v. 31.5.2016).
3) https://www.berlin.de/sen/verbraucherschutz/aufgaben/tierschutz/hundehaltung/hundebiss-statistik- 314090.php
4) Schriftliche Anfrage Joschka Langenbrinck (SPD) Drucks. 17/14648; schriftliche Anfrage Stefan Förster (FDP) Drucks. 18/10201; Mail des Finanzsenats III D v. 6.5.2016.
5) Mail des Finanzsenats III C 24 v. 31.5.2016.
6) Katalog der Ordnungswidrigkeiten 2017, S. 3, Ziff. B 1 mit Bezug auf die Tollwut-Verordnung;
Abgeordnetenhaus, Stellungnahme zum Bericht des Rechnungshofs, Drucks. 17/1185, Ziff. 283.

5. Juni 2018