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in Park und See

Berlin: Hauptstadt der Hunde – und der Steuersünder_innen?

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„Berlin ist die Hauptstadt der Hunde“, vermelden Hundefreunde begeistert. Geht man durch Straßen und Parks hat man fast den Eindruck, in Berlin hat jeder einen Hund – wenn nicht zwei oder drei. 111.024 Hunde wurden Ende 2019 offiziell gezählt. Gefühlt sind es mindestens doppelt so viele und es werden immer mehr. In den letzten sieben Jahren ist ihre Zahl um 12,4 Prozent gestiegen. Dies sind jedoch nur die gezählten, die bei den Finanzämtern angemeldeten. Wie viele Hunde es in der Stadt tatsächlich gibt, weiß niemand.

Hunde sind die einzigen Heimtiere, für die öffentlicher Raum beansprucht wird. Dieser öffentliche Raum aber wird immer knapper, nicht nur die Zahl der Hunde nimmt zu, sondern auch immer mehr Menschen ziehen nach Berlin. Dies führt unweigerlich zu Nutzungskonflikten, z.B. der immer noch schwelende Streit um die Hundemitnahme an den Schlachtensee und die Krumme Lanke: Als es den Hundehaltern am Grunewaldsee und der dortigen Hundebadestelle zu voll und zu schmutzig wurde, zogen sie gen Süden zu den nächsten Seen. Auch viele andere geschützte Grünanlagen wie Parks und Landschaftsschutzgebiete werden zunehmend für den Hundeauslauf missbraucht. Wie aber kann man die Zahl der Hunde begrenzen? Das traditionelle Instrument ist die Hundesteuer. Es wären zwar wirksamere Instrumente denkbar, aber im Moment haben wir nichts anderes.

Zurzeit müssen für den Ersthund 120 Euro und für jeden weiteren Hund 180 Euro jährlich gezahlt werden. Und wenn man seinen Hund nicht anmeldet? Dann passiert nichts. Die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden liegt in zehn Hundelebensjahren weit unter 5 Prozent. Zuständig für die Steuerkontrolle sind vorrangig die Ordnungsämter. Treffen sie einen Hund ohne Steuermarke an, müssen sie dem Finanzamt eine Kontrollmitteilung schicken. Das aber geschieht immer seltener. 2007 gab es noch 1.450 solcher Mitteilungen, in den Jahren 2013-2015 waren es durchschnittlich 890, 2018 nur noch 535 und 2019 lediglich 579, obwohl doch allein bei einer Schwerpunktaktion „Hundekontrolle“ 146 Hunde ohne Steuermarke angetroffen wurden. In mindestens drei Bezirken wurden diese Hunde nicht dem Finanzamt gemeldet; die Bezirke haben übers gesamte Jahr weniger Mitteilungen erstellt als sie während der Schwerpunktaktion an Hunden ohne Steuermarke angetroffen haben.

Unser Vorgehen

Anfang Juni 2018 haben wir den für Finanzen zuständigen Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses über die Missstände informiert. Unsere Hauptargumente waren:

  • Die Effizienzvorgaben, denen die Ordnungsämter unterliegen, konterkarieren die Durchsetzung des Hundesteuergesetzes. Die Ordnungsämter sind gehalten, jährlich eine vorab bestimmte Summe an Ordnungsgeldern einzunehmen. Dies führt zu einer Hierarchisierung der zu verfolgenden Ordnungswidrigkeiten nach Einnahmechancen: Hundehalter_innen zu kontrollieren ist aufwändig und zudem ineffizient. Das Fehlen der Steuermarke zieht kein Ordnungsgeld nach sich und vor allem fließen die zusätzlichen Steuereinnahmen dem Senat zu und nicht den Bezirken.
  • Das Erhebungsverfahren steht im Gegensatz zum Gleichheitsgrundsatz. Es missachtet das vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte „Verifikationsprinzip“, wonach sichergestellt sein muss, dass die Steuerpflichtigen „tatsächlich“ gleich belastet werden. Die Erhebungsregeln sind nicht auf Durchsetzung des Steuergesetzes angelegt.

Reaktionen der Politik

Zunächst kam Schwung in die Sache, die Abgeordneten Fréderic Verrycken und Andreas Kugler (beide SPD) richteten zwei Anfragen an den Senat (Anfrage 1, Anfrage 2). Nach dem Wechsel Verryckens auf den Posten eines Staatssekretärs beim Finanzsenat und daher Rücktritt vom Posten des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses aber tat sich nichts mehr. Im Februar 2019, nach sage und schreibe acht Monaten, reichte der Hauptausschuss unser Schreiben an den Petitionsausschuss weiter, und zwar ohne jegliche Stellungnahme und ohne uns zu fragen oder auch nur zu informieren. Wir erfuhren davon vom Büro des Petitionsausschusses, das – weil Petitionen einer Originalunterschrift bedürfen – unsere Unterschrift anforderte. Wir haben nicht unterschrieben, zumal wir der Auffassung waren (und sind), dass Hinweise auf systematische Möglichkeiten zur Steuervermeidung keine „Petitio“, keine Bitte sind. Letztlich haben wir dann Ende April 2019 doch eine Petition eingereicht und dabei die zwischenzeitlichen Erkenntnisse u.a. aus den beiden Anfragen mitberücksichtigt. Das Hin und Her ging weiter, der Petitionsausschuss behandelte unser in Teilen inhaltlich veraltetes Schreiben an den Hauptausschuss trotz fehlender Unterschrift als Petition und lehnte sie ab. Er entschuldigte sich später dafür, aber letztlich blieb es bei der Ablehnung.

Die Argumente des Petitionsausschusses

  • Die Zahl der Steuervermeider_innen unter den Hundehaltenden sei gering. Die Schwerpunktkontrollen im Oktober 2019 hätten ergeben, dass 12,2 Prozent der überprüften Hunde keine Steuermarke trügen. Da von den Hunden, zu denen 2019 Kontrollmitteilungen vorlagen, 52,8 Prozent nicht angemeldet gewesen seien, betrage die Zahl der steuerlich nicht erfassten Hunde nur ca. 6,4 Prozent.
  • Die Festlegung der Höhe der Hundesteuer (sie wurde seit 1997 nicht erhöht) sei „eine politische Entscheidung“.
  • Die Übertragung der Hundesteuer-Überwachung auf die allgemeinen Finanzämter sei nicht sinnvoll, da deren personellen Ressourcen anderweitig gebunden seien. Und im Finanzamt für Fahndung und Strafsachen stünden ebenfalls keine Kapazitäten zur Verfügung, wobei die Ordnungsämter ja sowieso die Aufgabe der Überwachung hinsichtlich der Einhaltung der Leinenpflicht usw. hätten: „In diesem Zusammenhang bekannt werdende Tatsachen mit steuerlichen Belangen werden regelmäßig der Steuerverwaltung mitgeteilt.“
  • Der Einsatz fahndungsrechtlicher Instrumente „dürfte (…) gegen das Übermaßverbot verstoßen“.

Diese Ablehnung ist wohl insgesamt als „politische Entscheidung“ zu werten. Auf unser Argument, dass die Ordnungsämter, deren Leistungen seit Einführung des Neuen Steuerungsmodells Ende der 1980er Jahre an ihren Einnahmen gemessen werden und eine Kontrolle der Hundesteuermarken sich daher für sie nicht lohnt, geht der Petitionsausschuss nicht ein. Im ersten Ablehnungsschreiben allerdings hatte er auf eine Stellungnahme der Senatsverwaltung verwiesen, wonach das Erhebungsverfahren höchstrichterlichen Vorgaben entspreche, und sich dieser Auffassung angeschlossen. Dabei stützt sich die Senatsverwaltung lediglich auf einen Halbsatz aus einem Urteil des Bundesfinanzhofs: „Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen, führen allein nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm“. Die Verwaltung führt dann weiter aus: „Die Erfüllung der Anmeldepflicht nach dem HuStG überwacht die Steuerverwaltung im Rahmen der verfügbaren personellen und finanziellen Mittel“. Im selben Satz aber betont der Bundesfinanzhof, dass sehr „wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts“ eine Verfassungswidrigkeit begründe. Um genau dieses Defizit geht es: Die Vorgaben, denen die Ordnungsämter unterliegen, stehen im Widerspruch zur Aufgabe Hundesteuermarken zu kontrollieren, ganz abgesehen davon, dass sie dazu gar nicht die Personalkapazitäten haben.

Die Zahl der unangemeldeten Hunde aus den Schwerpunktkontrollen zu errechnen, ist schlicht unseriös, war es doch ein Leichtes, den Kontrollen zu entgehen. Alle Hundehalter_innen, fast alle jedenfalls, wussten wann kontrolliert wird, wurden die Kontrollen doch breit in der Presse angekündigt. Gerieten sie in die Nähe uniformierter Ordnungskräfte, konnten sie schnell das Weite suchen. Darüber hinaus ist die Repräsentativität äußerst fraglich. Mehr als die Hälfte (55%) der ohne Steuermarke angetroffenen Hunde entfallen auf die Bezirke Steglitz-Zehlendorf und Lichtenberg. Anhaltspunkte dafür, dass ein Mix aus diesen beiden Bezirken die typischen Berliner Hundehaltenden widerspiegelt, werden nicht genannt und gibt es unseres Wissens auch nicht. Zudem scheint die Steuermarke nicht immer und überall kontrolliert worden zu sein, denn der Anteil von Hunden ohne Steuermarke ist in den einzelnen Bezirken höchst unterschiedlich: In Lichtenberg beträgt er 50,7 Prozent von 69 kontrollierten Hunden, in Friedrichshain-Kreuzberg dagegen gab es keinen einzigen Hund ohne Marke unter den 72 kontrollierten. In diesem Bezirk missachteten gut zwei Drittel die Anleinpflicht und 10 Prozent führten ihre Hunde auf Kinderspielplätzen aus – aber alle zahlten brav Hundesteuern? Zudem haben die Bezirke unterschiedlich viele Hunde kontrolliert – die Marge reicht von 29 in Reinickendorf bis zu 209 in Steglitz-Zehlendorf.

Des Weiteren hatten wir Hundebestandserhebungen durch Privatfirmen angeregt. Lt. Tagesspiegel war allein eine der Firmen, deren Mitarbeiter_innen dazu von Tür zu Tür gehen und fragen, ob ein Hund gehalten wird, bisher schon für 200 Kommunen aktiv. Weitere Kommunen haben andere Firmen beauftragt oder derartige Haustürkontrollen mit eigenem Personal durchgeführt. Die Kommunalaufsicht Nordrhein-Westfalens fordert die Kommunen sogar zu derartigen Erhebungen auf. Nach Auffassung des Petitionsausschusses aber haben all diese Kommunen sämtlich gegen das Übermaßverbot verstoßen. Ganz so sicher scheint sich der Petitionsausschuss dann aber doch wieder nicht zu sein, denn er schreibt, dass der Einsatz solcher Instrumente gegen das Verbot verstoßen „dürfte“. In der ersten Ablehnung (zur Petition, die keine war) bezweifelte er die Effektivität, weil sie von der Auskunftsbereitschaft der Befragten abhinge „und damit ebenso auf dem Vertrauensvorschussprinzip beruhen wie die Meldepflicht beim Finanzamt“. Hunde aber bellen nun einmal gern, wenn jemand an der Wohnungstür klingelt.

Fazit

Das Ergebnis lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Man will nicht. Der Hauptausschuss hat nach anfänglichem Engagement das Thema „weggeschoben“. Die Diskussion dort war mit Sicherheit kontrovers, weil dort sowohl die Pro-Hunde- als auch die Contra-Fraktion vertreten ist. Dass die Finanzverwaltung nicht will, ist seit Jahren bekannt. Mehrere Abgeordnete haben schon in früheren Legislaturperioden ausweichende Antworten auf ihre Anfragen erhalten.

Dem Petitionsausschuss muss man sicherlich zugestehen, dass ihm eine kollegiale Zusammenarbeit im Ausschuss wichtig ist. Erschreckend ist jedoch, dass er ungeprüft die Auskünfte der Verwaltung übernimmt. Selbst so simple Dinge wie die Behauptung der Senatsverwaltung, Berlin gehöre zu den Kommunen mit dem höchsten Hundesteuersatz, werden ohne weiteres übernommen. Zehn Minuten googeln hätte dieser Behauptung den Boden entzogen. Nach der Ablehnung der ersten Petition (die keine war) haben wir dem Ausschuss eine entsprechende Tabelle zur Verfügung gestellt und geschrieben, dass Berlin im Mittelfeld liegt. Die Reaktion findet sich in der Ablehnung der eigentlichen Petition; geradezu krampfhaft bemüht sich der Ausschuss seine Behauptung doch aufrecht zu erhalten. Gegen unseren Vorschlag, private Dienstleister mit einer Hundezählung zu beauftragen, werden ebenfalls Argumente der Senatsverwaltung bemüht, demnach der Erfolg von der Auskunftsbereitschaft der Befragten abhänge und rechtlich wg. des Übermaßverbots (Senatsverwaltung: „Rasterfahndung“) nicht erlaubt sei. Dabei hatten wir einige größere Städte benannt, die solche Erhebungen durchgeführt haben. Man hätte dort nachfragen können. Gibt man die Suchwörter „Hundezählung“ oder „Hundebestandserhebung“ bei Google ein, erhält man hunderte von Presseberichten zu derartigen Aktionen. Mit dem Verfassungsgerichtsurteil zum „Verifikationsprinzip“, dem Erfordernis, dass bei der Steuererhebung alle Steuerpflichtigen gleichbehandelt und das entsprechende Gesetz deshalb „tatsächlich“ umgesetzt werden muss, ist es sicherlich etwas komplizierter. Aber die Steuer „tatsächlich“ eintreiben oder gar die Zahl der Hunde in der Stadt zu begrenzen, das wollte man nicht.

Veröffentlicht am 29.06.2020.