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Hundebiss, gefahrdrohend angesprungen: Was ist zu tun?

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571 Menschen wurden in Berlin im letzten Jahr durch Hundebisse verletzt, davon 71 schwer. Weitere 118 wurden gefahrdrohend angesprungen – so die offizielle, von den Veterinärämtern der Bezirke erstellte Statistik. In den vorherigen Jahren waren die Zahlen ähnlich: Das neue Hundegesetz von 2016 mit verschärfter Anleinpflicht hat nicht zu einer Verminderung geführt (Link). Dabei dürfte die tatsächliche Zahl der Hundeattacken sogar noch erheblich größer sein, denn: Wer zeigt schon seine Oma an?

Earl Schuler 1941 (Library of Congress): https://www.loc.gov/pictures/item/93511152/

90 Prozent aller Bissvorfälle erfolgen durch Hunde von Verwandten, Nachbarn oder es war sogar der eigene Hund (Link, S. 434). Zudem: Wer holt bei einem kleinen Kratzer schon gleich die Polizei? Gut und gerne kann man davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl der Hundebisse und des gefahrdrohenden Anspringens mehr als zehnmal größer ist – und damit der Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Radfahrer*innen nahekommt. Wir plädieren dafür, jeden Hundebiss und jedes gefahrdrohende Anspringen zur Anzeige zu bringen.

Verniedlichen jedenfalls sollte man Hundebisse und gefahrdrohendes Anspringen nicht. Hundespeichel enthält Bakterien, die beim Menschen zu schweren Infektionen führen können. Und ein Hund, der derartige Verhaltensweisen zeigt, wird es auch wieder tun. Gefährdet sind insbesondere Kinder. 25 Prozent der Opfer von Hundebissen sind Kinder unter sechs Jahren und 34 Prozent sind zwischen sechs und 17 Jahre alt. Kleinen Kindern wird besonders häufig in den Hals und den Kopf gebissen, älteren in Arme und Beine (Link). Allein zum Schutz der Kinder sollten u.E. sämtliche Vorfälle angezeigt werden. Auch Anzeigen „gegen Unbekannt“ machen Sinn, werden so doch die Veterinärämter darauf aufmerksam, wo sich Derartiges häuft.

Wie verhalte ich mich in der Situation?

  1. Sich den Ausweis des Hundehalters/der Hundehalterin zeigen lassen und die Angaben notieren.
  2. Die Adressen von Zeugen und Zeuginnen notieren.
  3. Die Polizei rufen und Anzeige erstatten.
  4. Den Hund, den Ort des Geschehens und ggf. auch den Hundehalter/die Hundehalterin fotografieren. (Hierzu bitte die Erläuterungen unten beachten!)
  5. Die Bisswunde, Schäden an der Kleidung usw. fotografisch festhalten.
  6. Eine Arztpraxis aufsuchen: Wunden, und seien sie noch so klein, müssen unbedingt desinfiziert und weiter beobachtet werden. Außerdem könnte eine ärztliche Bescheinigung später wichtig sein.
  7. Zu Hause ein Gedächtnisprotokoll anfertigen. Was hat der Hundehalter bzw. die Hundehalterin gesagt? War er/sie betroffen, hat sich entschuldigt oder wurde vielleicht sogar frech?
  8. Das Veterinäramt der Gemeinde informieren, damit dieses prüft, ob der Hund schon öfters auffällig geworden ist und ggf. Maßnahmen ergreift. (Macht eigentlich auch die Polizei, aber wer weiß.)
  9. Einen Rechtsbeistand konsultieren.

Erläuterungen

Bei manchem kleinen Kratzer ist es mit Desinfektion und einem Pflaster getan – aber längst nicht immer. Je nach Studie kommt es in 5 bis 25 Prozent der Fälle zu schweren Infektionen (Link, S. 435). So wird in der Presse z.B. von einem 6-jährigen Mädchen berichtet, das zunächst nur eine fingernagelgroße Wunde hatte, dem aber große Teile des Gesichts entfernt werden mussten, weil das Gewebe abstarb. Tragisch auch Fälle, wo aus demselben Grund Gliedmaßen amputiert werden mussten oder wo der Hundebiss so tief war, dass Sehnen, Muskeln und Nervenbahnen für immer zerstört wurden. Hier geht es letztlich auch ums Geld, um Arzt- und Krankenhauskosten, Lohnausfall und Schmerzensgeld. Längst nicht jeder Hundehaltende hat eine Hundehaftpflichtversicherung; in manchen Bundesländern ist eine solche nicht einmal vorgeschrieben. In Berlin ist sie zwar Pflicht, aber es wird nicht kontrolliert, ob eine vorhanden ist.

Beim Fotografieren bitte beachten: Jeder hat das „Recht am eigenen Bild“. Grundsätzlich darf man niemanden fotografieren, der damit nicht einverstanden ist. Zwecks Aufklärung einer Straftat und zur Erlangung eines Beweismittels für einen eventuellen Zivilprozess können solche Fotos jedoch zulässig sein, insbesondere wenn man selbst geschädigt wurde (Link, Link). Diese Fotos sollten Sie jedoch auf keinen Fall veröffentlichen, auch nicht z.B. dem Freundeskreis auf Facebook etc. zugänglich machen. Sie gehören ausschließlich in die Hände von Polizei und Gerichtsbarkeit.

Zuständig für Hundebisse und gefahrdrohendes Anspringen ist die Polizei, nicht das Ordnungsamt, denn es geht um gefährliche Körperverletzung, eine Straftat. Nach Prüfung der Unterlagen wird die Staatsanwaltschaft ggf. Anklage erheben, wobei Sie sicherlich dazu aufgefordert werden, Ihre Erlebnisse vor Gericht zu schildern. Unser Rat ist, nicht nur zeitnah die Vorgänge zu protokollieren, sondern auch einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen. Er wird Sie nicht nur über den Ablauf des Strafprozesses und Ihre Verpflichtungen und Möglichkeiten als Zeuge/Zeugin informieren, sondern auch mit Ihnen klären, ob Sie zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend machen sollten.

Zudem empfehlen wir prophylaktisch, die eigene Privathaftpflicht dahingehend zu überprüfen, ob sie eine Forderungsausfalldeckung enthält, was bei älteren Verträgen häufig nicht der Fall ist. Eine solche würde ggf. einspringen, wenn beim Hundehalter bzw. der Hundehalterin „nichts zu holen“ ist. Es geht schließlich nicht immer nur um ein paar Euro, sondern ein Hundebiss kann im Extremfall auch zur Erwerbsunfähigkeit führen (Link).

Einen eindeutigen Beleg, welche Hunderassen am häufigsten Menschen beißen oder gefährden, gibt es nicht. In der Senatsstatistik von 2019 sind es nach den nicht zuzuordnenden Mischlingen Deutsche Schäferhunde (69), Golden/Labrador Retriever (37), Parson Russel Terrier/Jack Russel Terrier (33), American Staffordshire Terrier (20, ein Kampfhund) und Dackel (16), aber niemand weiß, wie viele Hunde dieser Rassen es in der Stadt gibt, wie viel Prozent der jeweiligen Rassen zubeißen. In einer Studie aus Nordrhein-Westfahlen, in der die angezeigten Hundebisse auf die Zahl der angemeldeten Hunde bezogen wurden, erwies sich ebenfalls der Schäferhund als besonders bissig (Link). Kleine Hunde sollte man aber keinesfalls aus dem Blick verlieren. Eine Befragung von Hundehaltenden in den USA ergab, dass kleine Hunde wie Dackel, Chihuahas, Jack-Russell-Terrier, Australian Shepherds, Cocker Spaniel und Beagles zu den aggressivsten Rassen zählen (Link).

Und bitte nicht vergessen: Schuldig ist nicht der Hund, sondern schuldig sind die Hundehaltenden, diejenigen, die den Hund eben nicht „gehalten“ haben:

Ein Hund „stellt eine Gefahrenquelle dar, er ist in seinem Verhalten nicht vernunftgesteuert und im Allgemeinen unberechenbar“. Daher „ist der Halter eines Hundes verpflichtet, diesen so zu überwachen, dass Verletzungen und Schädigungen Dritter verhindert werden“, so das Oberlandesgericht Hamm (Link).

Veröffentlicht am 8.10.2020